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Rückblick – Zwei Weihnachtsenten

Zwei Weihnachtsenten

Der Heilige Abend war harmonisch ausgeklungen und die Ente lag bereits vorbereitet im Bräter und wartete auf ihre morgige Bestimmung. Mary schlummerte schon tief und fest mit ihrem Weihnachtsmann im Arm und Jochen steckte gerade seine Nase in die Küche. Ich hatte mir gerade die Äpfel bereitgelegt als er mich sanft an sich zog und flüsterte: „Komm jetzt. Mach endlich Pause, Schatz.“ Ich gehorchte und wir zogen uns mit einem Schlummertrunk ins Schlafzimmer zurück.

Am anderen Morgen hatte es tatsächlich geschneit. Jochen kam mit heißem Kaffee ans Bett und hatte die Gardinen aufgezogen, damit wir diesen Zauber noch mehr genießen konnten. Herrlich. Endlich mal wieder weiße Weihnacht. Wir kuschelten uns dicht aneinander und tranken genüsslich unseren Kaffee. Dann fiel mir aber mein neuer Herd ein, der Gott sei Dank, noch kurz vor dem Fest angeschlossen worden war und ich wurde unruhig. Flugs schlüpfte ich aus dem Bett und Jochen starrte mir hinterher. Als ich mit der Bedienungsanleitung wieder unter meine Decke schlüpfte, war ihm alles klar und wenn es um die Weihnachtsente ging, war ihm alles recht. Wir durchblätterten die Anleitung und waren uns schnell darüber einig, dass dem Gelingen der Weihnachtsente nichts mehr im Wege stand.

Schließlich flüchtete ich aus dem Bett und besann mich auf meine Hauptaufgabe des ersten Weihnachtstages, dem Braten. Minuten später war ich bereits mit dem Schälen der Äpfel und dem Würzen der Ente beschäftigt. Der Zucker rieselte gerade über die Apfelstückchen als Jochen in die Küche kam. „Hm, ich riehe ihn schon, den Braten.“ Ich schmunzelte. Ja, ja. Jochen und die Weihnachtsente. Wir hatten uns schon vor Jahren gegen Gans entschieden und liebten unsere Tradition.

Mary kam verschlafen mit nackten Füßen den Flur entlang getapst und so hörten wir sie schon von weitem. „He, kleine Weihnachtsfee. Ausgeschlafen?“, rief ihr Jochen zu. Sie rieb sich immer noch den Schlaf aus den Augen und kuschelte sich wortlos auf Papas Schoß. Aber nach der ersten Tasse Kakao wurde Mary putzmunter und als es Zeit wurde die Ente in den Ofen zu schieben, rutschte sie immer noch im Schlafanzug auf ihren Knien durch die Küche. Jochen schnappte sich die Krabbelmaus und trug sie ins Bad. „So jetzt aber los und keine Katzenwäsche.“ Dann schloss er die Tür hinter ihr und kam zurück in die Küche. Ich drehte gerade an den Knöpfen des neuen Herdes herum und hielt parallel die Bedienungsanleitung in der Hand. Ja. So müsste jetzt alles stimmen. Ich schaute auf die Uhr. Elf. Also um eins können wir essen. Das passt, dachte ich und setzte mich an den Küchentisch. Jochen reichte mir ein Glas Rotwein mit den Worten: „Der Vogel will ja schließlich schwimmen.“ Ich musste lachen, aber stieß mit ihm an und trank einen Schluck. Dann schielte Jochen durch die Glasscheibe des Backofens und wackelte mit dem Kopf. „He, was soll das heißen?“, raunte ich ihn an. „So richtig braun wird der Vogel ja nicht oder?“ Ich sprang auf uns boxte ihn an die Schulter. „Willst Du kochen?“ Er riss die Hände hoch und wir hatten uns verstanden.

Nach einer Stunde und mehrmaligem Begießen sah die Ente eher aus wie eine gepuderte Dame und nicht wie ein gut gebräuntes Hula Mädel. Jetzt kamen mir langsam Zweifel. Also nahm ich noch einmal die Bedienungsanleitung zur Hand. Ich hatte alles richtig gemacht. Schweren Herzens holte ich dann doch den Chef des Hauses. Mit geschwollener Brust folgte er mir in die Küche, nahm die Bedienungsanleitung an sich und kniete augenblicklich vorm Backofen. „Aha, aha, hm alles klar.“ Ich wurde fast wahnsinnig. Warum können Männer sich nicht einmal klar und deutlich ausdrücken. „Was jetzt?“ Jochen kam hoch und drehte sich langsam um. Dann tippte er auf die Bedienungsanleitung in seiner Hand. „Hier. Das ist das Zeichen für Umluft und das für Ober- und Unterhitze. Bei Umluft kann die Temperatur wesentlich niedriger sein als bei der anderen Einstellung. Du hast aber Unter- und Oberhitze eingestellt und die niedrige Temperatur.“ Ich nickte nur, war aber verwirrt und schickte Jochen zurück vor den Fernseher. Schließlich drehte ich den Knopf auf Umluft und ließ die Temperatur so wie sie war. Dann bekam die Ente noch einen Guss und ich griff mir noch Kartoffeln und Schälmesser, bevor ich die Küche verließ. In der Wohnstube angekommen, lagen die zwei Grazien jeder in einem Fernsehsessel und strahlten mir entgegen. Jochen allerdings nicht mehr, als ich ihm das Tablett mit den Kartoffeln auf den Tisch knallte. Dann scheuchte ich ihn hoch, platzierte mich auf seine Stelle und schlug Mary vor einen Weihnachtsfilm einzulegen. Das Programm war sowieso nicht berauschend. Jubelnd sprang sie auf und Jochen und ich wussten, was jetzt kam, >Drei Haselnüsse für Aschenbrödel<. Doch Mary kam auf halben Weg zurück: „Mami. Mami, die Ente brennt!“ Die Kartoffeln fielen samt Topf krachend zu Boden. Jochen war der erste in der Küche und eh ich mich besann, hatte er den verkohlten Leichnam auch schon aus dem Ofen gezogen. Ich setzte mich an den Küchentisch und trank einen Schluck Rotwein. Ein Cognac wäre mir allerdings lieber gewesen. Jochen riss das Küchenfenster, Haus- und Küchentür auf und nach einigen Minuten war die Dunstwolke verschwunden. Mary schickte er zurück in die Wohnstube und dann untersuchte er den Herd. Dann kniete er sich vor mich: „Schatz, Du hast den Grill angestellt. Das ist das Zeichen neben Umluft.“ Ich starrte ihn stumm an. Dann erhob er sich, kratzte enttäuscht am Vogel rum und fragte: „Und was ist nun mit der Weihnachtsente?“ Auf einmal war ich hell wach.

„Die zweite liegt noch im Gefrierer. Dann gibt’s den Braten eben mal am Abend.“

Feuerzangenbowle 1

Rückblick- Weihnachtsmarkt

Rückblick – Weihnachtsmarkt

Es war mal wieder soweit – Weihnachtsmarkt. Leider blieb mir nicht viel Zeit, da ich noch das Meeting des morgigen Tages vorbereiten musste. Aber ein Glühwein ging immer. Also ließ ich mich von meiner Kollegin überreden und sie stand tatsächlich Punkt 19 Uhr vor dem Hotel. Es war ein schöner Dezemberabend und Kati war bis zu den Augen in einen wollweißen Schal gewickelt. Als ich aus dem Ausgang des Hotels in die kalte Abendluft trat sah ich unwillkürlich in den klaren Sternenhimmel. Mein Gott, war das schön. Kati sah mich fragend an. „Woas is?“ Ich winkte nur ab und wollte nicht länger darüber nachdenken, wie lange ich mit Jochen nicht die Zeit hatte, so etwas zu genießen. Eines wusste ich in diesem Moment, das musste sich ändern. Als wir am Christkindlmarkt ankamen, traute ich meinen Augen kaum. Ich war schon auf einigen Märkten gewesen, aber dieser Weihnachtsmarkt toppte alles. Ich blieb ruckartig stehen und der kleinen Maus an meiner Seite riss ich damit arg am Arm. „Au! Woas soll das?“, entfuhr es ihr. Ich entschuldigte mich gleich, aber als Kati mein strahlendes Lächeln sah, verstand sie. Ich war nach meinem Zusammenbruch erst wieder einige Wochen im Dienst und nervlich noch sehr schwach. Aber das hier war Balsam für meine Seele. Kati schleuste mich gleich zum Höhepunkt des Weihnachtsmarktes, der größten Feuerzangenbowle der Welt. Wir hatten das Glück, dass gerade das riesige Zuckerstück gewechselt und neu entflammt wurde und so starrten wir beseelt auf die beachtliche Flamme. „So, Kati, jetzt trinken wir aber was davon.“ Ich wollte gerade gehen, als sie mich am Arm zurückzog. „Wart, I hols.“

Damit ließ sie mich stehen und verschwand. Ich hatte sie kaum aus den Augen verloren, da stand sie schon wieder vor mir. „Wie hast Du das so schnell angestellt?“, fragte ich sie. Aber Kati zuckte nur mit den Schultern und grinste. Dann schlug sie heftig ihr Glas an meines und prostet mir zu. Sie sah aus, wie ein kleiner Weihnachtself in ihrem roten Mäntelchen. Ihre Haare hatte sie zu einem geflochtenen Kranz um ihren Kopf gebunden und sicher hatte sie auch ein Dirndl an. Wenn sie jetzt noch spitze Ohren hätte könnte sie glatt beim Weihnachtsmann aushelfen. Erst als Kati mich anstieß, merkte ich, dass ich in einem Tagtraum versunken war und musste lachen. Plötzlich war sie schon wieder verschwunden und kam erneut mit zwei vollen Gläsern zurück. Nach dem dritten Glas entschieden wir uns für was Essbares, sonst würden wir das Hotel wohl nicht wiederfinden. Kati schlug vor zu Schaklik Wolf zu gehen und ich war sehr froh darüber. Nürnberger Bratwürste gab es quasi an jeder Ecke und die konnte ich wahrlich nicht mehr riehen. Am Stand angekommen ergatterten wir sogar noch zwei lauschige Plätze, die Kati gleich besetzte und ich organisierte die begehrten Spieße. Als ich mit denen zurückkam, hatte Kati Mühe sich einen Verehrer vom Leib zu halten. Als ich näher kam, hörte ich nur noch ihr wütendes „Schneich di!“ Der Bub torkelte an mir vorbei und Kati war sichtlich erleichtert. „Wer war das?“, fragte ich sie. Kati winkte erst ab, aber nachdem ich noch einmal nachgefragt hatte, erzählte sie mir die ganze Geschichte. Ich war entsetzt. „Kati, das darfst Du Dir nicht gefallen lassen. Wenn Du das zulässt, denkt der er kann sich alles bei Dir erlauben. „I hab’s dem Chef doch schon gesagt, aber….“ Sie schaute traurig auf ihren Spieß. Ich stieß sie an: „Was aber?“ Schweigen. Ich stieß sie wieder an. „I soll halt erst den Auftrag noch an Land ziehen, verstehst?“ Entsetzen machte sich in mir breit und ich bekam augenblicklich keine Luft mehr. „Unfassbar! Ist der noch ganz frisch im Hirn?“ Kati antwortete auf meine rhetorische Frage nur mit einem heftigen Kopfschütteln und ich nahm mir fest vor mit Lothar zu reden.

Schließlich hatten Kati und ich uns entschieden auf das morgige Meeting zu scheißen. Die Themen hingen uns sowieso schon aus dem Halse heraus. Und so wanderten wir vom Schaschlik Wolf über den Weihnachtsmarkt wieder zur Feuerzangenbowle. Nach einem weiteren Glasl schlug Kati vor einen „Heißen Caipirinha“ zu trinken. Wenn ich die nachfolgenden Auswirkungen vorher gekannt hätte, wäre mir nicht im Traum eingefallen einen Tropfen davon zu trinken. Also willigte ich natürlich ein.

Wie ich ins Hotel gekommen bin, kann ich heute nicht mehr sagen und das Meeting am anderen Tag ließen wir ausfallen.

burnout - ngste C

Bestandsaufnahme – „ausgebrannt“

Bestandsaufnahme – ausgebrannt –

Ich saß mal wieder im Zug vor meinem aufgeklappten Laptop und überarbeitete eine Präsentation. Müdigkeit überkam mich und ich sehnte mich nach einer Mütze Schlaf. Lange schon wachte ich jede Nacht gegen drei Uhr auf und konnte nicht mehr einschlafen. Ich hatte mich schon so sehr daran gewöhnt, dass ich dann sogar am PC meine effektivste Zeit hatte. So war es auch in der vergangenen Nacht. Jetzt brauchte ich nur noch kleinere Korrekturen vornehmen. Wie automatisiert bewegte ich zügig den Mauszeiger über die letzte Seite. Fertig. Ich verstaute den Laptop, lehnte mich müde zurück und ließ meinen Blick durch die verschneite Landschaft gleiten.

„Haben Sie Schmerzen?“ Ich erschrak. Eine ältere Dame mit schwarzen Wollhut und roter Nase hatte sich zu mir gesellt. Ihre kleinen Augen lugten hüpfend unter der breiten Krempe hervor. „Wieso?“, fragte ich. „Aber junge Frau. Sie reiben ständig ihre Hand….“ Dann legte sie Ihre kleine, runzlige Hand auf meine. „…und Sie sehen so traurig aus, so tief traurig.“ Ich starrte Sie mit offenem Mund an und war sprachlos. Was hatte die ältere Dame da gerade gesagt? Mein Magen krampfte sich zusammen und ich hatte Mühe zu atmen. Tränen schossen mir in die Augen und ich fing unwillkürlich an zu weinen. „Aber junge Frau. Was ist denn mit Ihnen?“ Sie streichelte meine Hand und kramte zugleich in ihrer kleinen braunen Handtasche. Ein besticktes Stofftaschentuch kam zum Vorschein, dass sie mir flugs unter die Nase hielt. Erinnerungen an meine Großmutter kamen in mir hoch und ich musste noch heftiger weinen. „Aber was ist denn mit Ihnen?“ Ich zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht.“

Lange nachdem die nette, ältere Dame ausgestiegen war, saß ich noch wie erstarrt und blickte in die vorüberziehende weiße Welt. Ich massierte immer noch meine Hand und erst jetzt bemerkte ich die Schwellung. Erschrocken versuchte ich den Ehering abzuziehen. Keine Chance. Ruckartig zückte ich meine Handtasche und rannte Richtung WC. Da gibt es Seife, war mein rettender Gedanke. Und so war es auch. Nach langem Mühen hatte ich den Ring vom Finger, steckte ihn in die Tasche und ging wieder auf meinen Platz. Die Hand sah bedenklich aus. Daumen und Zeigefinger waren zu einer Bockwurst angeschwollen und der Druck wuchs jetzt ins Schmerzhafte. Jedoch im selben Augenblick erfuhr ich Ablenkung. Ich war am Ziel und musste aussteigen.

Am Bahnsteig wurde ich bereits erwartet. Ich hatte Mühe meinen Koffer, Laptop und Handtasche zu jonglieren, da meine linke Hand ausgestiegen war. Der Kollege schaute mich grinsend an und fragte: „Geht’s?“ Unwillkürlich liefen mir die Tränen über die Wangen und ich blieb schlagartig stehen. Mein Herz raste und ich schaute in sein grinsendes Gesicht. Was mache ich eigentlich hier? Ich nahm all meinen Mut zusammen und stellte mein Gepäck vor seine Füße. „Ich fahre wieder zurück. Sie übernehmen heute.“ Er schluckte: „Das kann ich nicht.“ Doch ich kramte schon in meiner Handtasche, auf der Suche nach den Stick, auf den ich die Präsentation gespeichert hatte. „Bitte, hier ist alles drauf, was Sie brauchen. Rufen Sie mich gern an. Ich helfe Ihnen. Viel Erfolg.“ Dann sammelte ich meine sieben Sachen zusammen, drehte mich um und bestieg wieder den Zug. Im Zugrestaurant bestellte ich einen Rotwein, trank ihn in einem Zug aus und zum ersten Mal gestand ich mir ein:

Ich bin ausgebrannt!

Ausgebrannt  oder  „Wo ist denn jetzt das Feuer hin?“

Ausgebranntsein ist oft ein Zustand von“ Vollsein“ (Es geht nichts mehr rein!) und „Leersein“ gleichzeitig.

Das „Vollsein“ ist so groß und vor allem so mächtig, dass wir oft nicht in der Lage sind, unsere Situation, Gefühle oder unseren Zustand zu beschreiben.

Was meistens mit ständigem Ärger oder der Frustration über den Chef, den Kollegen, dem System etc. beginnt, nimmt seinen Weg über einen schleichenden Prozess, bis hin zu einer inneren Lähmung. Dieser Zustand entsteht nicht selten über Jahre.

Spricht uns jemand auf unsere Erschöpfung an, so streiten wir es anfangs vielleicht noch ab oder banalisieren unsere Situation („Irgendwas ist ja immer!“).

Psychische und physische Warnsignale hören wir nicht und schließen uns nach und nach emotional so ein, dass außer stillen Tränen nichts mehr bleibt. Worte und Wut sind schon lange versiegt. Denn selbst dafür ist keine Kraft mehr vorhanden. Damit beginnt das Wechselspiel zum „Leersein“.

Das „Leersein“ ähnelt einem Zustand zwischen Mutlosigkeit, Resignation und Einsamkeit. Letzteres ist ein Resultat unseres Rückzugs, da selbst zwangslose Treffen mit Freunden oder nur das Einkaufen von Lebensmitteln zu viel Kraft erfordern. Oft wollen wir, mit unserem Riesenpaket auf den Schultern, uns anderen nicht mehr zumuten. Denn dann wären wir gezwungen, selbst hin zu schauen.

Wenn Mental, also im Geist, nichts mehr geht, wenn jeder Gedanke sich wie Überforderung anfühlt, lässt der Körper mit entsprechenden Symptomen nicht lange auf sich warten. Warum? Weil die Seele zum Körper sagt: “Hey, sag Du es ihr mal, auf mich hört sie nicht mehr!“

Wenn wir also nicht mehr in der Lage sind unserer Tun und Handeln, unseren Job oder unser Umfeld mit positiven Gedanken zu beeinflussen, wenn wir vor allen Dingen nicht mal uns selbst im positiven Licht sehen können, dann fehlt irgendwann die nötige (Lebens-) Energie. Wir erfüllen nur noch unsere Pflicht!

Soweit der Zustand. Aber wie heißt die Falle, die uns in diesen Strudel hinabzieht?

Sie heißt: „Ich mache mir was vor“ bzw. welche Dynamik, welches unbewusste Muster bringt mich in solch eine dramatische Situation?

Der Geist, unsere Gedanken sind wie Elektrizität. KEIN STROM, KEIN LICHT bzw. FEUER!

Jetzt geht es darum, die Leitungen neu zu verlegen. Vorher brauchen wir den Schalter gar nicht betätigen. Wir sind alle unsere eigenen Elektriker und hier bekommt Ihr nach und nach das Werkzeug, um Euren neuen, gesunden Weg zu gehen.

Bis ganz bald,

Eure Anni

This pain is so exhaustive

Erschreckende Symptome 2

Ich war früh dem Bett entflohen und saß bereits frisch gestylt an meinem Schreibtisch. Viel Platz zum Arbeiten hatte ich nicht, denn links und rechts von mir türmten sich die Steuerunterlagen, die ich heute noch durcharbeiten wollte.

Plötzlich läutete mein Telefon. Jochen. Ich lächelte mein Mobiles an und hob ab: „Na Schatz, was gibt’s?…Aha. Ja. Welche Creme genau? Gut hole ich dir. Noch was, wenn ich schon ins Zentrum fahre?…Bring ich mit. …. Ach übrigens, was willst Du heute Abend essen?..o.k. Ich lasse mir was einfallen. Bis später.“

Als ich aufgelegt hatte, schaute ich flüchtig auf die Uhr. Erst neun. Ich griff nach dem Zettelblock, den ich immer parat hatte und notierte kurz die Einkäufe. Als ich im Begriff war aufzustehen, um den Inhalt unseres Kühlschranks näher unter die Lupe zu nehmen, schweifte mein Blick über die Türme von Unterlagen. Der Stuhl zog mich magisch zurück und so verschob ich mein Vorhaben auf später.

Der Stapel links von mir hatte stark an Höhe verloren und die gelbe Orchidee rückte wieder in mein Blickfeld. „Blumengießen“ durchzuckte es mich. Ich sprang auf, schnappte mir die grüne Kanne und rannte ins Bad. Dann begann ich meine Schützlinge an der Südseite zu versorgen. Hier war der Bedarf am Größten, was mir einige Orchideen auch eindrucksvoll mit gelben Blättern demonstrierten. So wurde mein schlechtes Gewissen noch größer und ich rannte schnell ins Bad zurück, um einige Düngepatronen zu holen. Dann steckte ich die kleinen Ampullen kopfüber in die Töpfe, die mich am vorwurfsvollsten ansahen und atmete tief durch. Ich schüttelte, enttäuscht über mich, den Kopf und brachte die Kanne wieder zurück ins Bad. Jetzt war ich schon sechs Monate zu Hause. Da werde ich mich doch wenigstens in Haus und Garten um alles kümmern können.

 

Mein letzter Gedanken steckte noch in den Gehirnwindungen fest, als ich ein Stechen in der Magengegend spürte. Schlagartig krümmte ich mich zusammen und legte meine Hand auf den Oberbauch. Dann schlich ich zum Schreibtisch zurück und sank auf den Bürostuhl. Ruhig atmete ich aus und ein und genoss die wohltuende Wärme meiner Hand. Alles wieder gut, sagte ich mir. Alles wieder gut. Dann drehte ich mich zum Schreibtisch und zog die letzten Unterlagen des linken Stapels an mich. Nach und nach konnte ich dann auch über den rechten Turm sehen und freute mich über meine geleistete Arbeit. Als ich jedoch zur Uhr sah, erschrak ich erneut. Eins. Einkauf! Essen! Noch Nichts war erledigt! Ich sprang auf und rannte aus dem Büro.

Im Kühlschrank sah ich nur in eine gähnende Leere. Ich schmiss die Tür zu, riss die Tür des Gefrierschrankes auf und durchwühlte das obere Fach. Als ich Restebeutel von Schinken und Speck fand, stand mein Entschluss fest: Erbeneintopf. Ich zerrte die Tüten ans Licht und zog mir zügig den Schnellkochtopf aus dem Schrank. Dann purzelte der Tüteninhalt auch schon hinein und ich platzierte alles auf dem Herd. Während meine Augen schon das Rondell nach Schälerbsen abscannten, angelte ich mit der rechten Hand nach einem Rührlöffel. Endlich hatte ich beides. Die Erbsen kullerten in den Topf und der Löffel durfte es sich noch neben der Herdplatte bequem machen.

Ich schaute mal wieder auf die Uhr und erschrak. Zwei. Bin ich langsam. Das hätte ich früher in zehn Minuten erledigt. Ich schüttelte abermals enttäuscht den Kopf. Plötzlich meldete sich mein Magen wieder zurück und zog sich krampfartig zusammen. Schnell legte ich meine Hand darauf und hoffte auf Linderung. Nichts. Beim Versuch zu atmen wurden die Krämpfe immer heftiger und ich hatte das Gefühl, dass mein ganzer Körper sich in die Magengrube zurückziehen wollte. Alle Versuche mich aufzurichten, waren vergebens. Ich sank auf den Küchenstuhl und versuchte in kurzen Schüben wenigstens etwas Atem zu bekommen. Verdammt! Das war ein Fehler. Meine Hände fingen an zu summen und verdrehten sich. Shit! Wo ist deine Hyperventilationsmaske? Egal! Ich brauchte dringend eine Tüte. Die Frühstücksbeutel von Jochen. Ja, da komm ich ran. Ich ließ mich auf den Boden sinken und kroch zum Apothekerschrank. Endlich, da waren sie. Ich blieb ich auf dem Boden sitzen, zog mir die Tüte über Mund und Nase und versuchte ruhig zu atmen. Nach und nach verlor sich das Summen in meinen Händen und ich wurde ruhiger.

Du bist ein Wrack, Claudia. Nicht mal die einfachsten Sachen kannst du erledigen. Tränen kullerten über meine Wangen und mein schlechtes Gewissen wuchs ins Unermessliche. Aber ich konnte nicht aufstehen. Die Krämpfe waren stärker geworden und hinderten mich wieder daran, ruhig zu atmen. Sofort stülpte ich mir die Tüte über Mund und Nase und wiederholte die Prozedur. Während ich immer ruhiger wurde, hörte ich im Nebenraum mein Handy klingeln. Ich zuckte zusammen. Nein Claudia. Jetzt nicht. Soll das Ding doch bimmeln. Du kannst nicht mehr. Beim letzten Gedanken erschrak ich und fing schlagartig an zu weinen. Ich weinte und weinte und spürte plötzlich wie sich ein wohliges Gefühl in mir ausbreitete. Also ließ ich es einfach zu und blieb sitzen.

 

Eines war mir gerade klar geworden. Nur Psychotherapie wird mir nicht helfen können. Ich musste anfangen einen neuen, meinen Weg zu gehen.

young woman  woman leaned against glass wall in crisis moment

Erschreckende Symptome-1

Ich stand in der Küche und bereitete das Mittagessen vor. Es gab mal wieder Wild, heute Frischlingskeule in Rotweinsoße mit Steinpilzen. Meine Küche sah bereits aus wie ein Schlachtfeld. Hinter mir, auf dem kleinen Küchentisch, lagen die Abfälle von allerlei geputztem Gemüse. Rechts lag die bereits angebratene Keule im Bräter und vor mir Berge von geschnippelten Zwiebeln, Lauch und Äpfeln. Ich schob das Gemüse auf die linke Seite und schaffte mir somit Platz für die Möhren. Dann platzierte ich die Kandidaten auf das Brett und begann sie in grobe Scheiben zu schneiden. Und ich schnitt und schnitt und immer schneller sauste die Klinge auf die Möhren. Immer schneller, immer schneller…..

Nein! Nicht schon wieder! Ich legte das Messer hin, zog mir den Stuhl heran und ließ mich fallen. Ich hatte es schon wieder getan! „Atme Claudia, atme!“, versuchte ich mich zu beruhigen. Meine Hände fingen an zu summen und ich merkte, dass ich panisch wurde. Mein Atmen wurde schneller und schneller. „Ruhig, Claudia, ruhig!“ Schnell zog ich mir ein Glas aus dem Hängeschrank und riss die Kühlschranktür auf. Als ich die Milch ins Glas gegossen hatte, sank ich wieder auf den Stuhl. Schluck für Schluck genoss ich das kühle Weiß. Doch die Gedanken kreisten dauernd um das Warum. Warum hältst Du den Atem an? Was treibt Dich dazu? Warum wirst Du gleich panisch? Warum, Claudia? Warum?

Ich musste hier raus. Im Flur griff ich mir meine Jacke und flüchtete in den Garten. Ich besuchte die letzten blühenden Rosen und genoss ihren dezenten Herbstduft. Als ich vor einer meiner Lieblingsrosen stand zog ich den schweren Blütenkopf dicht unter meine Nase. „Shakespeare“ verströmte immer noch so einen starken Duft, dass ich genussvoll die Augen schloss. „Danke.“, flüsterte ich ihm zu und küsste die Blüte. Das war mittlerweile Tradition, wenn ich an einer Blüte roch und meine Art Danke zu sagen.

Als ich das Haus betrat, hatte sich das Summen in den Händen gelegt und ich freute mich wieder aufs Kochen. Bevor ich die Klinke der Küchentür herunterdrückte atmete ich noch einmal tief durch und wollte wieder zurück an die Arbeit. „Arbeit“, hallte es in meinem Kopf. „Arbeit!“

 

 

Ich kann heute nicht mehr sagen, wie lange ich so angewurzelt da stand. Schließlich löste Jochen mich aus der Starre und sprach mich ruhig an: „Claudi, komm, wir gehen in den Garten, mein Schatz.“ Er öffnete mir die verkrampften Finger, löste sie von der Klinke und zog mich an sich. Dann flüsterte er mir ins Ohr: „Wir atmen jetzt ganz ruhig, ganz ruhig, Claudi.“ Ich folgte ihm und schaute ihn an. „Danke. Was war das Jochen? Was war das?“ Dicke Tränen quollen mir aus den Augen und ich vergrub mich unter seine Wolljacke. Vorsichtig hob er meinen Kopf: „Komm mit an die frische Luft.“

Wir saßen an der Südseite des Hauses und genossen die herrlichen Sonnenstrahlen als Jochen mich fragte: „Was hat Dein Therapeut Dir gesagt zum Thema Leistung? Erinnerst Du Dich?“ Ich starrte auf den Boden und flüsterte: „Ich soll sie in meinen Dienst stellen. Ich soll unterscheiden, ob ich meine Fähigkeiten und Fertigkeiten für mich einsetzte oder…“ Dann schaute ich Jochen wieder an und er grinste: „Rrrrrrichtig! Und, kochst Du gern? Ist das nicht eine Tätigkeit, die Du mit Liebe und Hingabe machst?…..und vor Allem ausgezeichnet kannst!“ Er hob den rechten Zeigefinger und ich musste lachen. Dann erinnerte ich mich: „Ich wurde beim Möhren schneiden immer schneller und schneller, wie eine Getriebene. Ich rannte in den Garten, um mich abzulenken. Als ich wieder an der Küchentür ankam, schoss mir das Wort >Arbeit< in den Kopf und ich erstarrte.“ Jochen war bereits aufgestanden und kniete vor mir. „Das hast Du gut erkannt. Und Du wirst nach und nach erkennen, dass Arbeit und Arbeit, wie Du es genannt hast, zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind.“ Er streichelte meine Knie: „Ich helfe Dir.“

Business man standing in rain with an umbrella concept on background

Rückblick – Die Termin

Rückblick – Der Termin

Sicher erinnert Ihr Euch noch an meinen lieben Geschäftsfreund Mark, der es leider mit der Pünktlichkeit nie so genau nahm. Ein feiner Kerl, aber seine ständige Zuspätkommerei brachte mich oft zur Weißglut; bis zu einem ganz besonderen Tag:

Die Regentropfen prasselten unaufhörlich an die Fensterscheiben und ließen mich einfach nicht schlafen. Am frühen Morgen war ich dann endlich vor Erschöpfung eingedruselt und so riss mich der Klingelton meines Handys aus dem Tiefschlaf. Mit halbgeöffneten Augen tastete ich mich zum Bad und wusste, jetzt hilft nur eins, kaltes Wasser. Ich warf mir eine Handvoll ins Gesicht und ging dann zur morgendlichen Zeremonie über. Vierzig Minuten später saß ich frisch gestylt im Auto auf dem Weg nach Lübeck.

Ich hatte Zeit und so fuhr ich heute mal nach Vorschrift. Als ich auf der Landstraße Richtung Stapelfeld gerade das herbstliche Laub der Bäume bewunderte, blendete mich plötzlich ein Auto von hinten. Beim Blick in den Rückspiegel musste ich grinsen, ein BMW. Hatte ich da nicht grad so eine sonderbare Begegnung? Egal. Ich ließ mich nicht weiter irritieren und blieb bei meinem ruhigen Fahrstil. Plötzlich klingelte mein Handy: „Moin Claudia. Können wir uns auf dem Parkplatz vor der Autobahnauffahrt nach Lübeck treffen? Mein Auto musste in die Werkstatt. Jannec würde mich bringen. Kannst Du mich bitte mitnehmen und nach dem Termin im Büro absetzten?“ Ich lächelte in den Hörer: „Klar Mark. Wann kannst Du denn hier sein? Ich bin bereits kurz vor dem Parkplatz.“ Am anderen Ende wurde es still. Mark holte tief Luft, schien sich kurz mit Jannec abzustimmen und sagte schließlich: „In dreißig Minuten. Dann haben wir noch fünfundvierzig Minuten bis zum Termin. Das schaffen wir locker.“ Auch wenn ich ihn nicht sah, sein Grinsen breitete sich vor meinem geistigen Auge aus und ich musste schmunzeln: „In Ordnung, aber nicht später.“

Als ich kurze Zeit danach auf dem Parkplatz ankam, hatte ich Mühe noch eine Lücke zu finden. Schließlich fuhr ich den Wagen rückwärts hinein, um die Ankunft von Mark besser wahrnehmen zu können. Es war für Anfang Oktober bereits sehr kalt und ich fror, mangels Schlaf heute Morgen, besonders. Darum ließ ich den Motor an und stellte die Sitzheizung auf fünf. Dann lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Doch im selben Augenblick fuhr ich hoch. Nein! Mach bloß nicht die Augen zu, Claudia. Also schaltete ich das Radio ein und genoss Vivaldis Frühling.

Der Regen hatte wieder eingesetzt und schlug, vom Wind angetrieben, wild auf die Frontscheibe ein. Langsam wurde ich ungeduldig. Die vereinbarte Zeit war bereits verstrichen und ich überlegte zum Telefon zu greifen. Doch dann durchzuckte mich ein Gedanke; Nein und nochmals Nein! Heute reicht es! Ich schaute noch einmal auf die Uhr und sah, dass ich bereits in fünfunddreißig Minuten  in Lübeck sein musste. Ich atmete tief durch, startete den Wagen und rollte vom Parkplatz.

Zwanzig vor neun. Fünf Minuten noch. Das war nicht zu schaffen und so drückte ich die Kurzwahltaste, um den Kunden zu informieren. Rolf Behrend war sofort am Apparat: „Na Claudia, nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen?“ Wenn der wüsste, dachte ich und musste grinsen: „Nein, Rolf, ich fahre gleich auf Euren Parkplatz, kannst den Kaffee quasi eingießen.“ Er lachte laut und legte auf. Bereits im Eingangsbereich begrüßte mich ein großer Bildschirm mit: „Herzlich Willkommen Frau Damarus.“ und ich ging lächelnd an ihm vorüber. Obwohl das für mich nicht neu war, rührte mich diese persönliche Begrüßung immer noch. Schnaufend nahm ich die letzten Stufen zum dritten Stock und Rolf stand bereits in der geöffneten Tür. Seine gegelten Haare glänzten im künstlichen Treppenlicht und er schien heute besonders gut gelaunt zu sein. Schließlich umarmten wir uns freundschaftlich und er nahm mir den Aktenkoffer aus der Hand. Als sich die Glastür hinter uns schloss sah ich in den frisch gestrichenen Flur. „Ist schön geworden Rolf und vor allen Dingen viel wärmer als vorher.“ Er hatte die Türklinke seines Büros bereits in der Hand und drehte sich um: „Creme. Übrigens, wie findest Du die Bilder?“ Langsam ging ich den Flur zurück. Jedes Bild wurde in einem warmen Licht angestrahlt, aber die jeweiligen Künstler waren mir völlig unbekannt. Ich trat ein Stück zurück und schaute auf ein leuchtendes Aquarell. Im Vordergrund wiegten sich große Lavendelbüsche, die von den heißen Sonnenstrahlen der Sommersonne ins richtige Licht gerückt wurden. Wunderschön. Ich war so vertieft, dass ich nicht bemerkt hatte, wie Rolf auf mich zukam. Er stupste mich an. Ich erschrak. Erst schaute er verklärt auf das Bild, dann hinüber zu den anderen und atmete genüsslich durch: „Alle von meiner Frau.“ Ich sah ihn erstaunt an und streckte beide Daumen nach oben: „Ganz große Klasse, Rolf. Ganz große Klasse!“ Er strahlte: „Na wenn Du das sagst. Ich weiß ja, dass Du auch malst. Ich richte es Christina aus. Sie wird sich freuen.“ Dann zog er mich am Arm in sein Büro.

Beim Eingießen des Kaffes schaute Rolf plötzlich auf: „Wo ist eigentlich Mark? Wolltet Ihr nicht zu zweit kommen?“ Ich lehnte mich in den weichen Besuchersessel und grinste: „Keine Ahnung. Vielleicht steht er ja noch auf dem Parkplatz und wartet auf mich.“ Rolf runzelte die Stirn und verstand nicht. Also klärte ich ihn kurz auf und wir fingen beide an zu lachen. Dann riss er seinen Zeigefinger hoch und wies auf das Fenster: „Es gießt in Strömen.“

Noch bevor er wieder ins Lachen verfallen konnte, läutete mein Telefon. Mark. Rolf grinste: „Lass den Zuspätkommer ruhig zappeln.“ Ich nickte und schaute auf das Display. Schließlich nahm ich ab und stellte auf laut. „Verdammt wo bist Du?“, schrie Mark in den Hörer. Rolf und ich grinsten uns an bevor ich ganz ruhig antwortete: „In Lübeck, beim Kunden.“ Wir konnten sein Schnauben deutlich hören: „Waaas? Du kannst mich doch nicht einfach im Regen stehen lassen!“ Auf einmal fand ich das nicht mehr lustig und ich sagte nur: „Doch.“ Das Schnauben wurde heftiger: „Verdammt, Claudia! Wir waren verabredet!“ Ich atmete tief durch und spürte, wie mein Gesicht sich verdunkelte: „Ja, Mark, vor sechzig Minuten.“ Mit einem lauten Knacken war das Gespräch plötzlich beendet.

Übrigens, Mark kam danach nie wieder zu spät.

Front view of a sports car, shot with a wide angle lense. No logo shown.

Rückblick – Das Vorstellungsgespräch

„Ab jetzt wird sich alles ändern. Versprochen.“, sagte ich und sah in die traurigen Augen meines Mannes. Damals war mir nicht klar, dass meinen Worten schwere Entscheidungen folgen werden.

Aber ich habe es geschafft!

Und darum blicke ich heute noch einmal zurück und freue mich jede Minute, dass ich damals die richtige Entscheidung getroffen habe.

Rückblick  –  Das Vorstellungsgespräch

An diesem Morgen hatte ich es besonders eilig. In einer Stunde begannen die Vorstellungsgespräche und ich stand immer noch im Bad und kämpfte mit meiner Frisur. Als mir zudem noch die Haarspange ins Klo fiel, war das Chaos perfekt. Wütend knallte ich den Klodeckel nach unten und ärgerte mich, ihn nicht geschlossen zu haben. Dann eben nur ein Haargummi, dachte ich und gönnte der Spange das Bad im Klo. Dann eilte ich in den Flur, griff mir den Aktenkoffer und schleuderte meine Handtasche über die Schulter. Hoffentlich war die Autobahn frei.

Ein Stau an der Auffahrt verhinderte bereits das Vorankommen und so stieg die Spannung, ob ich das Büro rechtzeitig erreichen würde ins Unermessliche. Endlich war es soweit. Ich konnte mich in die Autoschlange eingliedern und bat, mit einem kurzen Handzeichen, den BMW Fahrer links von mir, mich vorzulassen. Er nickte zustimmend. Ich fuhr an. Er aber gab Gas und zeigte mir den Effe!

„Arschloch!“, brüllte ich durch die geschlossenen Autoscheiben. Aber er hatte mich offensichtlich trotzdem verstanden und schenkte mir sein breites Lächeln.

Schweißgebadet stand ich dreißig Minuten später im Fahrstuhl. Als sich die Tür endlich öffnete begrüßte mich Hannes mit hochrotem Kopf: „Hast Du mal auf die Uhr geschaut? Wir warten seit geschlagenen zehn Minuten auf Dich!“ Wild gestikulierend tippte er auf seine Rolex. Erschöpft ging ich an ihm vorbei, fiel auf den nächstbesten Stuhl und atmete erst einmal tief durch. Er tobte hinterher und kam schnaubend auf mich zu: „Komm jetzt! Es warten schon zwei Kandidaten. Darf ich Dich daran erinnern, dass Du die Auswahl selbst treffen wolltest.“ Also schraubte ich mich wieder hoch und folgte ihm.

Auf dem Weg zum Meetingraum schlugen meine Gedanken Purzelbaum…Wie redet der eigentlich mit mir?…Der kommt ständig zu spät…Ich hetzte von einem Termin zum anderen quer durch Deutschland…Wieso lass ich mir das eigentlich gefallen?

„Claudia… Claudia… Frau Damarus!“

Hannes schlug seine Hand auf den Tisch. Ich fuhr hoch: „Ja?“ Er schrie: „Was ist los mit Dir?“

Dann platze es aus mir heraus: „Was mit mir los ist? Du willst wirklich wissen, was mit mir los ist?“ Mit einem kräftigen Fußtritt donnerte ich die Tür zu. Hannes zuckte zusammen.

„Jetzt sage ich Dir mal, was los ist. Du behandelst mich wie eine Nutte. Du vermietest mich überallhin, wo Brände zu löschen sind. Es reicht! Auch diese Vorstellungsgespräche heute sind eine Farce. Ich gebe Dir Brief und Siegel darauf, dass die Kandidaten in einem halben Jahr nicht mehr da sind. Dann habe ich wieder meine ganze Energie in Menschen gesteckt, die danach zur Konkurrenz laufen! Wie lange wollen wir uns noch im Kreis drehen, Hannes? Wie lange?“

Plötzlich war er die Ruhe selbst: „Gut. Dann schicken wir alle da draußen wieder nach Hause. Willst Du das wirklich?“

Ich stand auf, öffnete die Tür und bat den ersten Kandidaten mir zu folgen.

Nach zwei Stunden hatten wir immer noch keinen geeigneten Mitarbeiter fürs Process Management gefunden und es wartete nur noch ein Herr im Vorraum. Während Hannes ihn hereinbat, blätterte ich in seinen Bewerbungsunterlagen. Was dann geschah hatte ich nicht auf dem Bildschirm:

Ein sehr gut gekleideter Mitdreißiger betrat den Raum und reichte mir die Hand: „Gestatten. Robert von Hohenstein.“ Ich schaute ihn an und versuchte sofort Contenance zu bewahren: „Claudia Damarus.“ Dann lehnte ich mich genüsslich zurück. Hallo Arschloch, dachte ich und konnte mir einen Schmunzler nicht verkneifen. Hannes starrte mich fragend an. Ich reagierte nicht und sprach weiter: „Herr von Hohenstein, haben Sie einen eigenen PKW?“ Er rückte sein Jackett zurecht und richtete sich auf: „Ja, Frau Damarus, einen BMW.“

„Gut, Herr von Hohenstein. Sie beginnen am nächsten Ersten.“

Hannes sprang auf: „Frau Damarus…“

„Ja, ich weiß, Herr Jahnke. Ich soll die Auswahl treffen und das habe ich soeben getan.“