Zwei Weihnachtsenten
Der Heilige Abend war harmonisch ausgeklungen und die Ente lag bereits vorbereitet im Bräter und wartete auf ihre morgige Bestimmung. Mary schlummerte schon tief und fest mit ihrem Weihnachtsmann im Arm und Jochen steckte gerade seine Nase in die Küche. Ich hatte mir gerade die Äpfel bereitgelegt als er mich sanft an sich zog und flüsterte: „Komm jetzt. Mach endlich Pause, Schatz.“ Ich gehorchte und wir zogen uns mit einem Schlummertrunk ins Schlafzimmer zurück.
Am anderen Morgen hatte es tatsächlich geschneit. Jochen kam mit heißem Kaffee ans Bett und hatte die Gardinen aufgezogen, damit wir diesen Zauber noch mehr genießen konnten. Herrlich. Endlich mal wieder weiße Weihnacht. Wir kuschelten uns dicht aneinander und tranken genüsslich unseren Kaffee. Dann fiel mir aber mein neuer Herd ein, der Gott sei Dank, noch kurz vor dem Fest angeschlossen worden war und ich wurde unruhig. Flugs schlüpfte ich aus dem Bett und Jochen starrte mir hinterher. Als ich mit der Bedienungsanleitung wieder unter meine Decke schlüpfte, war ihm alles klar und wenn es um die Weihnachtsente ging, war ihm alles recht. Wir durchblätterten die Anleitung und waren uns schnell darüber einig, dass dem Gelingen der Weihnachtsente nichts mehr im Wege stand.
Schließlich flüchtete ich aus dem Bett und besann mich auf meine Hauptaufgabe des ersten Weihnachtstages, dem Braten. Minuten später war ich bereits mit dem Schälen der Äpfel und dem Würzen der Ente beschäftigt. Der Zucker rieselte gerade über die Apfelstückchen als Jochen in die Küche kam. „Hm, ich riehe ihn schon, den Braten.“ Ich schmunzelte. Ja, ja. Jochen und die Weihnachtsente. Wir hatten uns schon vor Jahren gegen Gans entschieden und liebten unsere Tradition.
Mary kam verschlafen mit nackten Füßen den Flur entlang getapst und so hörten wir sie schon von weitem. „He, kleine Weihnachtsfee. Ausgeschlafen?“, rief ihr Jochen zu. Sie rieb sich immer noch den Schlaf aus den Augen und kuschelte sich wortlos auf Papas Schoß. Aber nach der ersten Tasse Kakao wurde Mary putzmunter und als es Zeit wurde die Ente in den Ofen zu schieben, rutschte sie immer noch im Schlafanzug auf ihren Knien durch die Küche. Jochen schnappte sich die Krabbelmaus und trug sie ins Bad. „So jetzt aber los und keine Katzenwäsche.“ Dann schloss er die Tür hinter ihr und kam zurück in die Küche. Ich drehte gerade an den Knöpfen des neuen Herdes herum und hielt parallel die Bedienungsanleitung in der Hand. Ja. So müsste jetzt alles stimmen. Ich schaute auf die Uhr. Elf. Also um eins können wir essen. Das passt, dachte ich und setzte mich an den Küchentisch. Jochen reichte mir ein Glas Rotwein mit den Worten: „Der Vogel will ja schließlich schwimmen.“ Ich musste lachen, aber stieß mit ihm an und trank einen Schluck. Dann schielte Jochen durch die Glasscheibe des Backofens und wackelte mit dem Kopf. „He, was soll das heißen?“, raunte ich ihn an. „So richtig braun wird der Vogel ja nicht oder?“ Ich sprang auf uns boxte ihn an die Schulter. „Willst Du kochen?“ Er riss die Hände hoch und wir hatten uns verstanden.
Nach einer Stunde und mehrmaligem Begießen sah die Ente eher aus wie eine gepuderte Dame und nicht wie ein gut gebräuntes Hula Mädel. Jetzt kamen mir langsam Zweifel. Also nahm ich noch einmal die Bedienungsanleitung zur Hand. Ich hatte alles richtig gemacht. Schweren Herzens holte ich dann doch den Chef des Hauses. Mit geschwollener Brust folgte er mir in die Küche, nahm die Bedienungsanleitung an sich und kniete augenblicklich vorm Backofen. „Aha, aha, hm alles klar.“ Ich wurde fast wahnsinnig. Warum können Männer sich nicht einmal klar und deutlich ausdrücken. „Was jetzt?“ Jochen kam hoch und drehte sich langsam um. Dann tippte er auf die Bedienungsanleitung in seiner Hand. „Hier. Das ist das Zeichen für Umluft und das für Ober- und Unterhitze. Bei Umluft kann die Temperatur wesentlich niedriger sein als bei der anderen Einstellung. Du hast aber Unter- und Oberhitze eingestellt und die niedrige Temperatur.“ Ich nickte nur, war aber verwirrt und schickte Jochen zurück vor den Fernseher. Schließlich drehte ich den Knopf auf Umluft und ließ die Temperatur so wie sie war. Dann bekam die Ente noch einen Guss und ich griff mir noch Kartoffeln und Schälmesser, bevor ich die Küche verließ. In der Wohnstube angekommen, lagen die zwei Grazien jeder in einem Fernsehsessel und strahlten mir entgegen. Jochen allerdings nicht mehr, als ich ihm das Tablett mit den Kartoffeln auf den Tisch knallte. Dann scheuchte ich ihn hoch, platzierte mich auf seine Stelle und schlug Mary vor einen Weihnachtsfilm einzulegen. Das Programm war sowieso nicht berauschend. Jubelnd sprang sie auf und Jochen und ich wussten, was jetzt kam, >Drei Haselnüsse für Aschenbrödel<. Doch Mary kam auf halben Weg zurück: „Mami. Mami, die Ente brennt!“ Die Kartoffeln fielen samt Topf krachend zu Boden. Jochen war der erste in der Küche und eh ich mich besann, hatte er den verkohlten Leichnam auch schon aus dem Ofen gezogen. Ich setzte mich an den Küchentisch und trank einen Schluck Rotwein. Ein Cognac wäre mir allerdings lieber gewesen. Jochen riss das Küchenfenster, Haus- und Küchentür auf und nach einigen Minuten war die Dunstwolke verschwunden. Mary schickte er zurück in die Wohnstube und dann untersuchte er den Herd. Dann kniete er sich vor mich: „Schatz, Du hast den Grill angestellt. Das ist das Zeichen neben Umluft.“ Ich starrte ihn stumm an. Dann erhob er sich, kratzte enttäuscht am Vogel rum und fragte: „Und was ist nun mit der Weihnachtsente?“ Auf einmal war ich hell wach.
„Die zweite liegt noch im Gefrierer. Dann gibt’s den Braten eben mal am Abend.“