Rückblick – Der Termin
Sicher erinnert Ihr Euch noch an meinen lieben Geschäftsfreund Mark, der es leider mit der Pünktlichkeit nie so genau nahm. Ein feiner Kerl, aber seine ständige Zuspätkommerei brachte mich oft zur Weißglut; bis zu einem ganz besonderen Tag:
Die Regentropfen prasselten unaufhörlich an die Fensterscheiben und ließen mich einfach nicht schlafen. Am frühen Morgen war ich dann endlich vor Erschöpfung eingedruselt und so riss mich der Klingelton meines Handys aus dem Tiefschlaf. Mit halbgeöffneten Augen tastete ich mich zum Bad und wusste, jetzt hilft nur eins, kaltes Wasser. Ich warf mir eine Handvoll ins Gesicht und ging dann zur morgendlichen Zeremonie über. Vierzig Minuten später saß ich frisch gestylt im Auto auf dem Weg nach Lübeck.
Ich hatte Zeit und so fuhr ich heute mal nach Vorschrift. Als ich auf der Landstraße Richtung Stapelfeld gerade das herbstliche Laub der Bäume bewunderte, blendete mich plötzlich ein Auto von hinten. Beim Blick in den Rückspiegel musste ich grinsen, ein BMW. Hatte ich da nicht grad so eine sonderbare Begegnung? Egal. Ich ließ mich nicht weiter irritieren und blieb bei meinem ruhigen Fahrstil. Plötzlich klingelte mein Handy: „Moin Claudia. Können wir uns auf dem Parkplatz vor der Autobahnauffahrt nach Lübeck treffen? Mein Auto musste in die Werkstatt. Jannec würde mich bringen. Kannst Du mich bitte mitnehmen und nach dem Termin im Büro absetzten?“ Ich lächelte in den Hörer: „Klar Mark. Wann kannst Du denn hier sein? Ich bin bereits kurz vor dem Parkplatz.“ Am anderen Ende wurde es still. Mark holte tief Luft, schien sich kurz mit Jannec abzustimmen und sagte schließlich: „In dreißig Minuten. Dann haben wir noch fünfundvierzig Minuten bis zum Termin. Das schaffen wir locker.“ Auch wenn ich ihn nicht sah, sein Grinsen breitete sich vor meinem geistigen Auge aus und ich musste schmunzeln: „In Ordnung, aber nicht später.“
Als ich kurze Zeit danach auf dem Parkplatz ankam, hatte ich Mühe noch eine Lücke zu finden. Schließlich fuhr ich den Wagen rückwärts hinein, um die Ankunft von Mark besser wahrnehmen zu können. Es war für Anfang Oktober bereits sehr kalt und ich fror, mangels Schlaf heute Morgen, besonders. Darum ließ ich den Motor an und stellte die Sitzheizung auf fünf. Dann lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Doch im selben Augenblick fuhr ich hoch. Nein! Mach bloß nicht die Augen zu, Claudia. Also schaltete ich das Radio ein und genoss Vivaldis Frühling.
Der Regen hatte wieder eingesetzt und schlug, vom Wind angetrieben, wild auf die Frontscheibe ein. Langsam wurde ich ungeduldig. Die vereinbarte Zeit war bereits verstrichen und ich überlegte zum Telefon zu greifen. Doch dann durchzuckte mich ein Gedanke; Nein und nochmals Nein! Heute reicht es! Ich schaute noch einmal auf die Uhr und sah, dass ich bereits in fünfunddreißig Minuten in Lübeck sein musste. Ich atmete tief durch, startete den Wagen und rollte vom Parkplatz.
Zwanzig vor neun. Fünf Minuten noch. Das war nicht zu schaffen und so drückte ich die Kurzwahltaste, um den Kunden zu informieren. Rolf Behrend war sofort am Apparat: „Na Claudia, nicht rechtzeitig aus dem Bett gekommen?“ Wenn der wüsste, dachte ich und musste grinsen: „Nein, Rolf, ich fahre gleich auf Euren Parkplatz, kannst den Kaffee quasi eingießen.“ Er lachte laut und legte auf. Bereits im Eingangsbereich begrüßte mich ein großer Bildschirm mit: „Herzlich Willkommen Frau Damarus.“ und ich ging lächelnd an ihm vorüber. Obwohl das für mich nicht neu war, rührte mich diese persönliche Begrüßung immer noch. Schnaufend nahm ich die letzten Stufen zum dritten Stock und Rolf stand bereits in der geöffneten Tür. Seine gegelten Haare glänzten im künstlichen Treppenlicht und er schien heute besonders gut gelaunt zu sein. Schließlich umarmten wir uns freundschaftlich und er nahm mir den Aktenkoffer aus der Hand. Als sich die Glastür hinter uns schloss sah ich in den frisch gestrichenen Flur. „Ist schön geworden Rolf und vor allen Dingen viel wärmer als vorher.“ Er hatte die Türklinke seines Büros bereits in der Hand und drehte sich um: „Creme. Übrigens, wie findest Du die Bilder?“ Langsam ging ich den Flur zurück. Jedes Bild wurde in einem warmen Licht angestrahlt, aber die jeweiligen Künstler waren mir völlig unbekannt. Ich trat ein Stück zurück und schaute auf ein leuchtendes Aquarell. Im Vordergrund wiegten sich große Lavendelbüsche, die von den heißen Sonnenstrahlen der Sommersonne ins richtige Licht gerückt wurden. Wunderschön. Ich war so vertieft, dass ich nicht bemerkt hatte, wie Rolf auf mich zukam. Er stupste mich an. Ich erschrak. Erst schaute er verklärt auf das Bild, dann hinüber zu den anderen und atmete genüsslich durch: „Alle von meiner Frau.“ Ich sah ihn erstaunt an und streckte beide Daumen nach oben: „Ganz große Klasse, Rolf. Ganz große Klasse!“ Er strahlte: „Na wenn Du das sagst. Ich weiß ja, dass Du auch malst. Ich richte es Christina aus. Sie wird sich freuen.“ Dann zog er mich am Arm in sein Büro.
Beim Eingießen des Kaffes schaute Rolf plötzlich auf: „Wo ist eigentlich Mark? Wolltet Ihr nicht zu zweit kommen?“ Ich lehnte mich in den weichen Besuchersessel und grinste: „Keine Ahnung. Vielleicht steht er ja noch auf dem Parkplatz und wartet auf mich.“ Rolf runzelte die Stirn und verstand nicht. Also klärte ich ihn kurz auf und wir fingen beide an zu lachen. Dann riss er seinen Zeigefinger hoch und wies auf das Fenster: „Es gießt in Strömen.“
Noch bevor er wieder ins Lachen verfallen konnte, läutete mein Telefon. Mark. Rolf grinste: „Lass den Zuspätkommer ruhig zappeln.“ Ich nickte und schaute auf das Display. Schließlich nahm ich ab und stellte auf laut. „Verdammt wo bist Du?“, schrie Mark in den Hörer. Rolf und ich grinsten uns an bevor ich ganz ruhig antwortete: „In Lübeck, beim Kunden.“ Wir konnten sein Schnauben deutlich hören: „Waaas? Du kannst mich doch nicht einfach im Regen stehen lassen!“ Auf einmal fand ich das nicht mehr lustig und ich sagte nur: „Doch.“ Das Schnauben wurde heftiger: „Verdammt, Claudia! Wir waren verabredet!“ Ich atmete tief durch und spürte, wie mein Gesicht sich verdunkelte: „Ja, Mark, vor sechzig Minuten.“ Mit einem lauten Knacken war das Gespräch plötzlich beendet.
Übrigens, Mark kam danach nie wieder zu spät.
Hallo Lisa!
Da ist sie also wieder, die Kurzgeschichte, die mir meinen Freitagabend versüßt hat.
Aber auch die Erkenntnis, dass man alles noch so gründlich timen und trotzdem scheitern kann wenn der Faktor Mitmensch ins Spiel kommt. Ich freue mich schon auf Neues von Claudia. Liebe Grüße von Petra
Hallo Petra,
ja, die lieben Mitmenschen.
Aber Claudia hat das Zuspätkommen über Jahre zugelassen, es einfach ertragen. Endlich bricht sie mal aus ihrer typischen Reaktionshaltung aus und agiert aus sich.
Das war genau die richtige Entscheidung.
Ich freu mich auf Deinen nächsten Kommentar.
Alles Liebe
LL ( Claudia)
Klasse!
Manche Menschen verstehen keine andere Sprache!