Ich stand in der Küche und bereitete das Mittagessen vor. Es gab mal wieder Wild, heute Frischlingskeule in Rotweinsoße mit Steinpilzen. Meine Küche sah bereits aus wie ein Schlachtfeld. Hinter mir, auf dem kleinen Küchentisch, lagen die Abfälle von allerlei geputztem Gemüse. Rechts lag die bereits angebratene Keule im Bräter und vor mir Berge von geschnippelten Zwiebeln, Lauch und Äpfeln. Ich schob das Gemüse auf die linke Seite und schaffte mir somit Platz für die Möhren. Dann platzierte ich die Kandidaten auf das Brett und begann sie in grobe Scheiben zu schneiden. Und ich schnitt und schnitt und immer schneller sauste die Klinge auf die Möhren. Immer schneller, immer schneller…..
Nein! Nicht schon wieder! Ich legte das Messer hin, zog mir den Stuhl heran und ließ mich fallen. Ich hatte es schon wieder getan! „Atme Claudia, atme!“, versuchte ich mich zu beruhigen. Meine Hände fingen an zu summen und ich merkte, dass ich panisch wurde. Mein Atmen wurde schneller und schneller. „Ruhig, Claudia, ruhig!“ Schnell zog ich mir ein Glas aus dem Hängeschrank und riss die Kühlschranktür auf. Als ich die Milch ins Glas gegossen hatte, sank ich wieder auf den Stuhl. Schluck für Schluck genoss ich das kühle Weiß. Doch die Gedanken kreisten dauernd um das Warum. Warum hältst Du den Atem an? Was treibt Dich dazu? Warum wirst Du gleich panisch? Warum, Claudia? Warum?
Ich musste hier raus. Im Flur griff ich mir meine Jacke und flüchtete in den Garten. Ich besuchte die letzten blühenden Rosen und genoss ihren dezenten Herbstduft. Als ich vor einer meiner Lieblingsrosen stand zog ich den schweren Blütenkopf dicht unter meine Nase. „Shakespeare“ verströmte immer noch so einen starken Duft, dass ich genussvoll die Augen schloss. „Danke.“, flüsterte ich ihm zu und küsste die Blüte. Das war mittlerweile Tradition, wenn ich an einer Blüte roch und meine Art Danke zu sagen.
Als ich das Haus betrat, hatte sich das Summen in den Händen gelegt und ich freute mich wieder aufs Kochen. Bevor ich die Klinke der Küchentür herunterdrückte atmete ich noch einmal tief durch und wollte wieder zurück an die Arbeit. „Arbeit“, hallte es in meinem Kopf. „Arbeit!“
Ich kann heute nicht mehr sagen, wie lange ich so angewurzelt da stand. Schließlich löste Jochen mich aus der Starre und sprach mich ruhig an: „Claudi, komm, wir gehen in den Garten, mein Schatz.“ Er öffnete mir die verkrampften Finger, löste sie von der Klinke und zog mich an sich. Dann flüsterte er mir ins Ohr: „Wir atmen jetzt ganz ruhig, ganz ruhig, Claudi.“ Ich folgte ihm und schaute ihn an. „Danke. Was war das Jochen? Was war das?“ Dicke Tränen quollen mir aus den Augen und ich vergrub mich unter seine Wolljacke. Vorsichtig hob er meinen Kopf: „Komm mit an die frische Luft.“
Wir saßen an der Südseite des Hauses und genossen die herrlichen Sonnenstrahlen als Jochen mich fragte: „Was hat Dein Therapeut Dir gesagt zum Thema Leistung? Erinnerst Du Dich?“ Ich starrte auf den Boden und flüsterte: „Ich soll sie in meinen Dienst stellen. Ich soll unterscheiden, ob ich meine Fähigkeiten und Fertigkeiten für mich einsetzte oder…“ Dann schaute ich Jochen wieder an und er grinste: „Rrrrrrichtig! Und, kochst Du gern? Ist das nicht eine Tätigkeit, die Du mit Liebe und Hingabe machst?…..und vor Allem ausgezeichnet kannst!“ Er hob den rechten Zeigefinger und ich musste lachen. Dann erinnerte ich mich: „Ich wurde beim Möhren schneiden immer schneller und schneller, wie eine Getriebene. Ich rannte in den Garten, um mich abzulenken. Als ich wieder an der Küchentür ankam, schoss mir das Wort >Arbeit< in den Kopf und ich erstarrte.“ Jochen war bereits aufgestanden und kniete vor mir. „Das hast Du gut erkannt. Und Du wirst nach und nach erkennen, dass Arbeit und Arbeit, wie Du es genannt hast, zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind.“ Er streichelte meine Knie: „Ich helfe Dir.“